Bekannt ist Hakodate in Reiseführern vor allem für seinen spektakulären Nachtblick und die gut erhaltenen historischen Bauten aus der Zeit der Hafenöffnung. Für mich persönlich war die Stadt an der Südspitze Hokkaidos aber auch aus einem ganz pragmatischen und logistischen Grund ein absolutes Highlight: Sie lässt sich wunderbar und effizient ohne einen einzigen Bus erkunden.
Wer mich und meine bisherigen Reiseberichte kennt, weiß, dass ich Bussen eher abgeneigt bin – sei es wegen der oft unübersichtlichen Fahrpläne oder des engen Fahrkomforts. Umso erfrischender ist es, dass hier die historische Straßenbahn (“Shiden”) nicht nur als Touristenattraktion dient, sondern das Rückgrat des städtischen Nahverkehrs bildet. Das Rattern der Räder auf den Schienen, die solide Mechanik der teils sehr alten Wagen und die klare Linienführung machen die Fortbewegung hier zum reinen Vergnügen. Man steigt ein, genießt die Fahrt durch die Hafenstadt und kommt entspannt an fast allen relevanten Zielen an.
Die Festung Goryōkaku
Erreichbar ist diese beeindruckende Anlage ganz entspannt mit der besagten Tram. Schon beim Aussteigen und dem kurzen Fußweg zum Park merkt man die historische Bedeutung und die schiere Dimension des Ortes. Es handelt sich um Japans erste im westlichen Stil erbaute Festung, angelegt in einer perfekten, fünfzackigen Sternform. Für jemanden, der Symmetrie und durchdachte Ingenieurskunst zu schätzen weiß, ist dieser Ort faszinierend.
Vom benachbarten, 107 Meter hohen Goryōkaku Tower hat man zwar den berühmten “Postkarten-Blick” von oben, der die Sternform perfekt zeigt, aber ich habe es fast noch mehr genossen, die Geometrie zu Fuß zu erkunden. Erst am Boden begreift man die taktische Ausrichtung der Wälle und Wassergräben. Man wandert entlang der Befestigungen, umgeben von hunderten Kirschbäumen, die (je nach Jahreszeit) die strengen militärischen Linien der Festung weichzeichnen und eine fast meditative Ruhe ausstrahlen.
Dass man in Japan auch an historischen Orten den Blick für das Wesentliche – und Skurrile – nicht verliert, zeigte sich mir dann an einem eher unerwarteten Ort. Selbst die sanitären Anlagen sind hier offenbar so gestaltet, dass sie sich harmonisch (oder zumindest fotogen) in das Gesamtbild einfügen. Ein Schnappschuss war es allemal wert.
Motomachi und die Hänge
Ein weiteres Ziel, das sich hervorragend zu Fuß erschließen lässt, ist das Motomachi-Viertel am Fuße des Berges Hakodate. Dieser Stadtteil ist berühmt für seine Topografie. Charakteristisch sind hier die steilen, schnurgeraden Straßen (“Zaka”), die vom Berg direkt hinunter zum Hafenbecken führen. Der Aufstieg ist durchaus sportlich und ersetzt problemlos das Beintraining im Fitnessstudio, wird aber mit jedem Höhenmeter durch tollere Ausblicke auf die Bucht und die vor Anker liegenden Schiffe belohnt.
Hier findet man einen architektonisch extrem spannenden Mix, der die Geschichte Hakodates als einen der ersten offenen Handelshäfen Japans widerspiegelt: Russisch-orthodoxe Kirchen mit ihren Zwiebeltürmen stehen in direkter Nachbarschaft zu alten japanischen Gebäuden, britischen Konsulaten und chinesischen Versammlungshallen. Es ist ein Spaziergang durch die Kulturen, verbunden durch steiles Kopfsteinpflaster.
Mount Hakodate
Natürlich darf der klassische Aussichtspunkt einer jeden Hakodate-Reise nicht fehlen. Doch statt sich in einen vollen, schwankenden Touristenbus zu quetschen und die Serpentinen hochzuquälen, führt eine technisch weitaus elegantere Seilbahn (Ropeway) direkt zum Gipfel. Die Fahrt selbst bietet schon einen Vorgeschmack auf das Panorama.
Oben auf der Aussichtsplattform angekommen versteht man schnell, warum dieser Ausblick drei Sterne im Michelin Green Guide erhalten hat und oft als einer der drei besten Nachtblicke der Welt bezeichnet wird. Die Stadt liegt auf einer schmalen, sanduhrförmigen Landzunge, links und rechts vom dunklen Meer eingerahmt. Wenn dann die Stadtlichter angehen, ist das ein Anblick, den man so schnell nicht vergisst – ein perfekter Kontrast zwischen der schwarzen See und dem leuchtenden urbanen Leben.
Doch selbst die beste Aussicht und die schönste analoge Erfahrung sind heutzutage nicht vor der digitalen Realität sicher. Mitten in diesem Genussmoment, als ich die perfekte Lichtstimmung einfangen wollte, beschloss mein Google Pixel 9 Pro XL, dass genau jetzt der absolut perfekte Zeitpunkt für ein unaufschiebbares Zwangsupdate ist.
Timing ist eben alles. Während die Software aktualisierte und der Ladebalken langsam vor sich hin kroch, konnte (und musste) ich mich wenigstens voll und ganz auf die “Hardware” der Stadt konzentrieren. Manchmal zwingt einen die Technik eben zum Offline-Glück.
Kulinarisch kam ich in Hakodate übrigens voll auf meine Kosten, was in Japan nicht immer selbstverständlich ist, wenn man bestimmte Texturen meidet. Frischer Fisch und Meeresfrüchte – besonders der berühmte Tintenfisch (Ika) – sind hier allgegenwärtig. Und zum Glück war weit und breit kein Milchreis in Sicht, eine Speise, die ich bekanntermaßen so sehr schätze wie Busfahrten. Dafür gibt es lokale Institutionen wie “Carl Raymon”.
Wer steckt eigentlich hinter diesem Namen? Carl Raymon (eigentlich Karl Weidel Raymon) war ein Fleischermeister aus dem damaligen Böhmen, den es auf seinen Wanderjahren nach Hakodate verschlug. Er gilt als der Vater der authentischen Wurst- und Schinkenherstellung in Hokkaido. Trotz widriger Umstände während der Kriegsjahre blieb er – der Liebe zu seiner japanischen Frau wegen – im Land und perfektionierte sein Handwerk. Dass man hier am anderen Ende der Welt in ein knackiges Würstchen beißt, das nach deutscher Reinheitstradition gefertigt wurde, ist schon ein surrealer, aber großartiger Moment.
QSL?
Jetzt seid ihr dran: Seid ihr auch “Team Schiene” und bevorzugt alles, was auf Gleisen fährt, oder stört euch das Busfahren weniger als mich? Habt ihr vielleicht noch Geheimtipps für andere Ecken in Japan, die man komplett ohne Bus erkunden kann? Und: Wurdet ihr im Urlaub auch schon mal im denkbar ungünstigsten Moment von Technik-Updates oder leeren Akkus “überrascht”?
Hinterlasst mir gerne einen Kommentar (oder funkt durch) – ich freue mich über den Austausch fast so sehr wie über ein erfolgreiches QSO über weite Distanz!